2.11.2025
Die Uhr tickt. Der Abteilungsleiter schaut hoch zur Wand. DerZeiger wandert unaufhaltsam. Bis um 8 Uhr braucht die Produktion das Okay. Ansonsten wird das mit dem Liefertermin für den Kunden nichts. Eigentlich is tja auch alles geklärt. Nur noch die Freigabe vom Chef fehlt … 7:30 Uhr – 7:35Uhr. Doch der verspätet sich ausgerechnet heute … – 7:40 Uhr …
Zehn Minuten vor 8 – Auftritt Herr Schulz, seine Assistenz reißt die Tür zum Großraumbüro auf, tritt zur Seite, macht dem Chef Platz, der, während er in sein Smartphone spricht, mal hierhin, mal dorthin grüßend, über den Gang zu seinem Büro schreitet.
Bevor sich die Bürotür schließt, huscht sein Abteilungsleiter noch in den Raum: „Herr Schulz?!“ – dem entfährt ein genervtes: „Was?“, bevor er sich zusammenreißt: „Ja, bitte!“ – „Ihre Freigabe für den Auftrag bitte. Die Produktion steht in den Startlöchern.“ – „Dann mal los. Ist ja alles geklärt! Freigegeben!“, gibt Herr Schulz sein Go. Das Letzte, was sein Abteilungsleiter hört, bevor er eilig den Raum verlässt, ist wie sein Chef ins Telefon sagt: „Du hörst es ja, ich komme zu gar nix. Immer ist etwas!“
Retterin der Not
Was Herr Schulz hier wunderbar hinbekommt, ist sich selbst zum Flaschenhals in seinem Unternehmen zu machen. Und das Schöne für ihn ist – jedenfalls fühlte sich das lange so schön an –, dass genau das ihm ein gutes Gefühl gibt: „Ich werde gebraucht. Jeder kommt zu mir! Ohne mich geht es nicht!“ Plakatives Beispiel, ich weiß. Zugeben würden dieses Motiv nur die wenigsten.
Das gute Gefühl, unersetzlich zu sein, dies ist es, was er lange Zeit mit seiner Position verband. Welches immer noch ab und an aufblitzt: „Ich, der Retter in der Not! Wenn ich mal einen halben Tag weg bin, dann geht gar nichts!“
Ein gutes Gefühl, das täuscht: Denn indem er sich zum Flaschenhals macht, schadet er nicht nur seinem Betrieb, sondern auch sich selbst:
Wichtige Entscheidungen bleiben aus, immer öfter ist es eben nicht nur 5 vor 8, sondern 5 vor 12 oder sogar darüber hinaus, weil ein Terminverpasst wird, weil Herr Schulz den Überblick verloren hat – und sein Team nicht selbständig die Verantwortung übernehmen will. Oder übernehmen kann, weil es nicht alle relevanten Informationen hat. Und viel wichtiger: Dazu nicht legitimiert wurde.
Und Herr Schulz spürt mehr und mehr den Druck, der auf ihm lastet: Die ganzen Aufgaben, die zu erledigen sind, die Blicke seiner Leute, die auf ein Wort von ihm warten.
Was ihm früher ein gutes Gefühl gab, auch ein Gefühl der Macht, belastet ihn nun mehr und mehr, weil er spürt, dass ihm alles über den Kopf zuwachsen droht. Er spürt, wie seine Kraft schwindet, wie seine Motivation weniger wird.
Ich bin allein
Und woran liegt das? Abstrakt sind es zwei Phänomenbereiche, die hier eine Rolle spielen: Das eine ist das Menschenbild – also die Erwartungen an die Menschen –, das andere das Verständnis von Macht.
Herr Schulz will sein Unternehmen schließlich nicht gründlich an die Wand fahren – also muss das doch – so vermittelt es ihm sein Menschenbild –an seinen Leuten liegen: Die haben es einfach nicht drauf, die arbeiten nicht so, wie er es sich wünscht, die funktionieren nicht so, wie es für das Unternehmen am besten wäre. „Ich bin allein mit der ganzen Verantwortung!“
Sein Menschenbild – und damit ist er, so meine Einschätzung vieler Führungskräfte, nicht allein – läuft darauf hinaus, dass er es den Mitarbeitenden nicht zutraut, das zu leisten, was er leistet. Ein fundamentaler Attributionsfehler.
Das Problem hinter dem Problem seiner Überforderung, sein Alleinkämpfertum, ist genau dieses Menschenbild – und sein Selbstbild bzw. sein Verständnis von Macht: So sehr er die Mitarbeitenden unterschätzt, überschätzt er sich selbst, überschätzt er seine eigene Macht. Er überschätzt seine eigene Relevanz als Person, die Relevanz seiner Position für den Erfolg seiner Unternehmung. Er sieht sich in einer verantwortlichen, also machtvollen Position.
Aber er hat keinen realistischen Blick auf seine eigene Wirksamkeit und auf die Wirksamkeit seiner Mitarbeitenden, will er eigentlich auch gar nicht haben, denn er will sein Selbstbild als Dreh- und Angelpunkt des Erfolges nicht beschädigen: „Ich allein bin der Erfolgsfaktor! ICH BIN ERFOLG!“
Er will von seiner Macht nichts abgeben, weil das seinem Verständnis nach bedeuten würde, weniger Macht zu haben. Er versteht nicht, dass er viel machtvoller, verantwortungsvoller agieren könnte, wenn er von seiner Macht etwas abgeben würde: Denn wenn mehrere Personen innerhalb einer Organisation Macht ausüben, dann wird die Organisation als Ganzes mächtiger. Und weil er das nicht versteht, nicht sein eigenes Menschenbild, nicht sein Machtgehabe reflektiert, wird vor allem eines ungewollt immer mächtiger: derFlaschenhals …
Der Druck, den der Flaschenhals erzeugt, setzt ihm immer mehrzu. Seine Mitarbeitenden werden immer weniger fähig, diesen Druck aufzufangen, er selbst immer weniger fähig, seinen eigenen Anspruch zu erfüllen.
Eine ideale Situation für einen Entscheider, den es nach Misserfolgen dürstet: Wollen Sie Ihr Unternehmen also endgültig an die Wandfahren, dann machen Sie sich zum Flaschenhals und fallen dann aus!
Meine Verantwortung
Was Herr Schulz verstanden hat, ist die Bedeutung einer Führungskraft für eine Organisation: Das Verhalten der Menschen, welche wie er die formelle Macht haben oder denen diese Macht zugeschrieben wird, hat einen signifikanten Einfluss auf die Organisation.
Was er missverstanden hat, ist die Bedeutung der Verantwortung von Führungskräften.
Wenn ich als Entscheider alles an mich ziehe, habe ich vielleicht das Gefühl, Verantwortung zu übernehmen, auf jede Frage eine Antwort zu suchen. Denn das steht doch in dem Wort „Verantwortung“ drin: Antworten finden. Und so kümmere ich mich ja um alles, was in den Leerstellen der Organisation nicht beantwortet wird. Aber genau dadurch übernehme ich eben keine Verantwortung. Weil ich mich nur immer mehr zum Flaschenhals mache.
Zu glauben, ich werde meiner Verantwortung gerecht, indem ich die Organisation so aufstelle, dass es ohne mich nicht geht, ist aus meiner Sicht heraus eine Falschinterpretation. Interpretiere ich Verantwortung richtig, dann stelle ich als verantwortlicher Entscheider die Organisation im Idealfall so auf, dass ich mich überflüssig mache und die Organisation ohne mich überlebensfähig ist. Dann werde ich meiner Verantwortung maximal gerecht.
Dann sind die Impulse, die ich als derjenige gebe, auf dem inder Organisation die Blicke ruhen, signifikant für einen positiven Einfluss auf die Organisation.
Ich bin mir sicher, wir brauchen Führung (in Form von Leaderships )in der komplexen Welt, um eine Organisation so aufzustellen, dass sie auf Veränderungen erfolgreich reagieren kann, dass sie erfolgreich Veränderungen umsetzt.
Um der Verantwortung gerecht zu werden, Antworten auf die drängenden Fragen und Probleme zu finden, braucht es viele Menschen, die vorangehen, statt weniger, die sich anmaßen alles zu wissen.
Führung ist in diesem Sinn ein toller Job – ist aber auch ein Sch…-job. Sie können so viel Gutes bewirken, viele Erfolge mit Ihren Kolleginnen und Kollegen feiern, Sie können aber auch so vieles falsch machen und die Organisation dadurch lahm legen.
Win-win-win…
Um für Ihre Organisation einen segensreichen Einfluss auszuüben, der den Mitarbeitenden ermöglicht, die Verantwortung zu übernehmen, die für den Erfolg bedeutend ist, ist es wichtig, dass Sie eine solche persönliche Governance an den Tag legen, mit der sie Win-win-win-Situationen herbeiführen können.
Sie kümmern sich also auf eine Weise um Ihr Selbstbild, Ihre blinden Flecken, dass sowohl die Dimension des IHR, des WIR als auch des ICH gewinnt.
IHR – hierbei geht es um Ihren Blick auf die anderen (Ihr seidso oder so …): Sie haben ein Menschenbild, dass Kooperation fördert und fordert.
WIR – der Blick auf und in die Organisation. Die Dosis entscheidet. Sich als Organisation als Arena der Kooperation erkennen, aber nicht um sich selbst drehen.
ICH – Ihr Blick auf sich selbst und die Rolle als Entscheider, als ein entscheidender Prädiktor für den erfolgreichen Weg Ihres Unternehmens.
Win-win-win … wenn es Ihnen gelingt, Ihre Bedeutung als Führungskraft nicht zu überschätzen („Ohne mich geht nix.“), aber auch nicht zu unterschätzen („Führungskräfte haben keinen signifikanten Einfluss.“), dann bekommen Sie diesen Dreiklang hin – und nehmen Ihre Verantwortung auf außerordentlich effektive Weise wahr.